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Sarah Koch: In den Fängen des Waldes [Rezension]

Denn was für immer bleibt, ist das Warum, das mir keiner beantworten kann. Wir versuchen es jedes Mal, und jedes Mal müssen wir feststellen, dass wir in manche Köpfe einfach keinen Einblick haben. Dass wir, egal wie sehr wir uns bemühen, in manchen Situationen einfach machtlos sind und Grausamkeiten wie diese nicht verhindern können.

Sarah Koch (In den Fängen des Waldes)
N.H. Yildiz von Selihal.com: Rezension zu In den Fängen des Waldes von Sarah Koch

Das Debüt von Sarah Koch ist für mich ein ausgezeichneter Start in die Welt der Thriller gewesen. Tatsächlich habe ich bis zu diesem Buch keinen einzigen Thriller in die Hand genommen, geschweige denn gelesen. Der Klappentext von Sarahs Buch hingegen hatte mein Interesse geweckt, sodass ich (zugegebenermaßen am Tag) das Buch verschlugen habe. Für die Nacht war es mir dann doch etwas zu unheimlich – genauso wie das Buch selbst unheimlich gut war! Es geht um die Mutter und Ehefrau Ella, die mit einem Autounfall einen Teil, und mit einem Wochenende den Rest ihrer Familie verloren hat. Auf der Suche nach ihrer Tochter und ihrem Mann begibt sie sich in die Eschheimer Wälder, wo man zuletzt ein Lebenszeichen der beiden wahrgenommen hat. Komischerweise findet sich nichts außer einigen Geistergeschichten und den Geschichten glaubenden Menschen, bis sie auf einmal auf die eher unkonventionelle Kommune im Wald stößt.

Autorin

Sarah Koch ist eine 28-Jährige Autorin aus Bayern. Sie hat bereits Erfahrungen in Film- und Kommunikationsdesign gesammelt bevor sie sich ihrem Studium der Germanistik und Marketing gewidmet hat. Erst letztes Jahr (2019) erschien ihr Debüt mit „In den Fängen des Waldes“ beim Piper Verlag und kurz darauf schloss sie bereits ihren zweiten Buchvertrag bei demselben Verlag ab. Ich habe Sarah durch Instagram kennengelernt, genauso wie Marina Neumeier (Aquarius). Sie ist eine herzliche und gut gelaunte Person, die nicht nur gerne schreibt sondern auch über Bücher bloggt und Hefezöpfe backt.

Schreibstil

Der Schreibstil der Autorin ist unglaublich bildlich. Man ist in der Lage, aufgrund ihres Schreibstils die Vorgänge vor dem inneren Auge zu sehen und die Emotionen der Charaktere zu spüren. Die Dialoge und die Charaktersprache haben mir besonders gut gefallen. An den Dialogen konnte man sich ein gutes Gespräch vorstellen und die Konversation realitätsgetreu mitverfolgen. Die Charaktersprache hat mich über alle Maße beeindruckt. Man wusste aufgrund der Art und Weise, wie sie die Charaktere hat sprechen lassen, wer gerade am Reden war. Der Stil jedes Charakters blieb authentisch und auch der Bezug zur Realität ging nicht verloren. So hat es Sarah Koch geschafft, unterschiedliche Geschlechter, Altersgruppen und charakteristische Eigenschaften in die Art und Weise des Sprechens und auch des Verhaltens einzubinden.

Charaktere

Es gab durch das Buch hinweg eine Protagonistin, aus dessen Sicht man alles beobachtet und miterlebt hat: Ella Höffner. Sie ist die Frau, dessen Mann und Tochter verschwunden sind. Ella ist eine Kleinstadtmutter wie sie im Buche steht. Sie ist unglaublich vernarrt in ihr Leben als Mama und Ehefrau, sie ist charakterstark und absolut von ihren Werten überzeugt. Mut ist ihr zweiter Vorname, denn obwohl sie absolute Angst vor dem hat, was sie erwarten könnte, zieht sie in den Eschheimer Wald um die Familie zu finden, die sie über alles liebt. Durch das Buch hindurch erkennt man eine Wandlung in Ella. Sie kann Traumata aus ihrer Vergangenheit überwinden und sich dem stellen, wovor sie am meisten Angst hat: Was ist, wenn sie ihre Familie nie wieder oder tot findet? Man kann sich in Ellas Person hineinversetzen, weil sie absolut authentisch geschrieben wurde. Die Autorin hat es geschafft, die Handlungen der Protagonistin zu verstehen und nachzuvollziehen, auch wenn man charakterlich nicht unterschiedlicher sein könnte. Am Anfang hat man Schwierigkeiten, ihren Charakter zu verstehen, aber je länger man liest, desto unüberschaubarer und gefestigter wird er. Zudem hegt man absolute Sympathien für sie, die vor Allem durch die von der Autorin eingebauten Rückblenden ermöglicht werden.

Komissar Mertens wurde mit dem Finden von Ellas Mann und Tochter beauftragt. Er spielt eine Nebenfigur, ist aber umso unablässiger je weiter die Geschichte vorangeht. Man bekommt immer wieder Einblicke in seinen Charakter durch die Augen von Ella. Er ist einer mit Gelfrisur ausgestatteter Nichtsnutz, so Ellas Einstellung ihm gegenüber. Doch auch sie merkt im Laufe des Buches, dass Komissar Mertens alles tut, was in seiner Macht steht, um der kleinen Familie mit einem großen Schicksal zu helfen. Dadurch, dass die Autorin gegen Ende des Buches Perspektivenwechsel zwischen ihm und Ella einbaut, sind auch die Leser in der Lage, ihn zu verstehen. Genauso wie Ella ist es auch den Lesern vergönnt, den Komissar besser kennen zu lernen.

Ellas drei Fragezeichen, wie sie sie liebevoll nennt, spielen eine wichtige Rolle über das ganze Buch hinweg. Durch Marcella, Oskar und Finn findet Ella Anschluss in Eschheim und kann durch die drei einheimischen Bewohner der Stadt an Informationen gelangen, die sie anders nicht bekam (Was vor Allem an dem fehlenden Internet und den fehlenden Internetartikeln liegt). Die drei sind gerade einmal Teenager, die zwar zuerst eher ein Abenteuer gesucht haben, aber danach tatsächlich Ella helfen wollten. Marcella ähnelt Ella sehr und die beiden verstehen sich deshalb auch so gut. Sie ist eine starke junge Frau, genauso wie Ella, die ebenfalls verantwortungsvoll handelt. Die Prise jugendliche Naivität gibt ihr den Rest, um Ellas Ermittlungen voranzutreiben. Oskar und Finn hingegen sind etwas weniger präsent, dafür aber sehr klar geschnittene Charaktere.

Dann sind da natürlich auch noch Tom, Ellas Ehemann, und Lina, Ellas Tochter. Die beiden lernt man vor Allem durch Flashbacks kennen, was aber auf keinen Fall die Charakterstärke wegnimmt. Damit soll gemeint sein, dass man von der Seite an, in der sie zum ersten Mal erwähnt werden, ganz genau weiß, wie ihre Charaktere aufgebaut sind. Auch wenn man teilweise am Rande der Verzweiflung war, eben weil man alles durch die Augen von Ella sah, die selber der Verzweiflung nahe kam, versteht man die Charaktere. Tom macht etwas durch, womit die meisten Menschen zu kämpfen haben. Dass Ella dabei nicht helfen kann und man als Leser automatisch in dieses Gefühl der Protagonistin hineingezogen wird, ist man auch selbst geneigt, aus Ungewissheit in Tränen auszubrechen. Lina ist eine ganz andere Geschichte, denn die gerade Mal sieben Jahre alt. Der Instinkt, das kleine Mädchen von jedem Übel zu beschützen, ist demnach von Anfang an da. Die Gefühle einer Mutter, die die Autorin durch ihren Schreibstil rüber bringt, erwecken Sympathien beim Leser, die keiner leugnen kann.

Setting

Das Setting ist vorwiegend in Eschheim und absolut angemessen für einen Thriller. Man ist andauernd beunruhigt, wenn Ella draußen ist, und ängstlich wenn sie in den Wald geht. Auch wenn man als Leser weiß, dass es für Ella keinen Weg vorbei am Wald gibt, braucht es dennoch Überwindung, das Buch nicht anzuschreien, die Protagonistin nicht doch nach Hause zu schicken. Der Wald mit seinen imaginären Geistern steht im großen Kontrast zu dem kleinen Dorf der Nachbarstadt. Das Dorf von Eschheim ist genauso verlassen und friedlos wie der Wald, doch die Nachbarstadt scheint eine Art Ausgleich zu geben. Die Aufenthalte dort ähneln wie die eines Urlaubs, wenn man mal davon absieht, dass nebenan eine vermeidlich verfluchte Stadt ist. Tatsächlich ist an Eschheim nichts ungewöhnliches, doch die Menschen dort scheinen schon zu viel erlebt und gesehen zu haben, als das sie ruhig und mit einem unerschütterlichen Seelenfrieden zuhause sitzen könnten.

Die düstere Stimmung wird tatsächlich überall mit hingenommen, wo sich Ella befindet. Die stilistische Schreibweise gibt dem Leser die Möglich zu zwei Gründen für diese Düsterkeit: Das Setting selbst oder Ellas Kopf. Dadurch, dass wir alles durch Ellas Augen sehen, alles fühlen und erleben, was sie fühlt und erlebt, sind wird auch in ihrer emotionalen Welt eingesperrt. Es gibt keine andere Perspektive auf die Welt, als die von Ella. Und auch wenn Eschheim normal gewesen wäre, so hätte Ellas innere Unruhe die Welt in einer düsteren Welt erscheinen lassen. Auf diese Weise verschwindet niemals der Nervenkitzel beim Lesen, der für mich einfach zu einem Thriller dazugehört.

Buchcover

Das Buchcover ist dem Titel und dem Inhalt des Buches gerecht geworden. Sowohl die Farben als auch die Abbildungen spiegel das Buch gut wieder. Die Bäume sind natürlich unablässig für ein Buch, dessen Hauptbestandteil der Wald ist. Außerdem sieht die Reihung der Bäume so aus, wie als würde man aus dem Maul (=Fängen) eines Tieres, schauen und als seien die Bäume die Zähne. Das sich die Frau auf dem Bild genau zwischen den Fängen befindet macht es symbolisch und stilistisch besonders repräsentativ für das Buch. Das Farbenspiel aus kühlen Blautönen gibt dem allem noch den düsteren Touch, der das ganze Buch über verweilt. Alles in Allem hätte das Cover vermutlich nicht besser sein können.

Fazit

Das Buch hat für mich den Weg zu Thrillern geöffnet, einem Genre dem ich normalerweise sowohl in Buch als auch in Film ausgewichen bin. Doch Sarahs Debüt hat es geschafft, mich von der ersten Seite an in den Bann zu ziehen. So sehr, dass ich nicht in der Lage war, das Buch nachts bei Dunkelheit in meinem Zimmer im Dachgeschoss zu lesen. Etwas, was mich gegen Ende des Buches jedoch etwas enttäuscht hat war, wie schnell die Spannungskurve abgeflacht ist, sobald Ella das letzte Puzzleteil gefunden hat. Es blieb interessant, keine Frage, doch der Touch von Thriller ging verloren. Es wurde sehr dramatisch und tragisch, aber leider kam der Thriller nicht wieder zurück. Es hat nichts an dem Gesamtergebnis geändert, denn es blieb bis zur letzten Seite ein absolut gutes Buch. Auch das Ende hat mich bis zur letzten Sekunde das Hoffen und Verstehen gelehrt. Man hat bis zum Schluss Theorien aufgestellt, Szenarien im Kopf ausgemalt und in jedem Wort einen Hinweis gesucht. Dennoch ist es der Autorin gelungen, den Leser zu überraschen. Es ist nicht nur ein gelungenes Debüt der Autorin, sondern auch eine absolute Empfehlung an alle, die sich an das Genre Thriller heranwagen wollen.

Bewertung

4,5 Sterne

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